Albaniens Nirwana - Holtas

Albaniens Nirwana - Holtas

Gramsh - Porocan - Holtas

Vor einigen Tagen beschrieb ich, wie wir in Pogradec und in den Bergdörfern um Bishnica erfolgreich auf Spurensuche gingen. Von dort aus peilen wir den zweiten Teil der Erinnerungsfahrt an: Über Elbasan nach Gramsh, unserer „Talstation“ vor fünf Jahren, und dann wieder übers Gebirge ins fast vergessene Holtas.

Es beginnt seltsam: Ich möchte Julie die abenteuerliche Straße zeigen, um deren Serpentinen ich damals den Lastzug mit dem Hilfsgütern gezirkelt habe – immer mit voller Hupe ob der Albaner, die einem todesverachtend um jegliches unübersichtliche Eck entgegenflitzten.

Aber das Navi führte uns über eine mir völlig unbekannte Straße, die es gar nicht geben durfte. Schließlich kamen wir an eine nagelneue Staumauer: Ach gar – die haben mittlerweile den Fluss, den wir entlangfahren, gestaut, und mein Abenteuerspielplatz liegt jetzt etliche Meter unter Wasser. Und die Straße ist neu.

Schade – aber die Albaner verzichten ja nicht auf so ein Projekt, damit ich in Nostalgie schwelgen kann.

 

Gramsh

In Gramsh halten wir uns nur kurz auf: Viel zu sehen ist nicht, und der große zentrale Platz ist vom Parkplatz zu einer Fußgängeroase umgebaut worden.

Gramsh Zentraler Platz

Allerdings auch nicht schöner als der Parkplatz, dafür kann man sein Auto nirgendwo mehr hinstellen. Fußgänger gibt’s aber auch keine. Wer geht schon auf einem etwa 50 mal 50 Meter großen offenen betonierten Platz spazieren?

Die Verkehrsführung ist noch katastrophaler geworden. Also nichts wie weg. Nach Holtas.

Das liegt nach etwa 3 Stunden Knüppelpfad „hinter den Bergen, bei den sieben Zwergen“ ebenfalls oben auf dem Berg hinter dem Ort Porocan, das im Flusstal angesiedelt ist.

 

Porocan

Hinweisschilder gibt es in Albanien praktisch keine, aber ich kenne ja noch den Abzweig in die Berge. Denkste – der Abzweig liegt ja auch unter Wasser. Nach etwas Suchen finden wir schließlich den Einstieg in die Berge. Viele Erinnerungen tauchen wieder auf. Die alte Schmiede entdecke ich (Bild), das kleine Lädchen mit den kalten Getränken, die Mühle (Bild) und anderes.

Alte Schmiede in Porocan

Alte Mühle in Porocan

Als sich der Tag dem Ende zu neigt, sind wir fast da. Wir finden ein traumhaft schönes Plätzchen am Wegesrand mit Blick aufs Flusstal, auf den Ort Porocan und auf den Berg, an dessen Hang Holtas liegt. Wir bleiben dort über Nacht und den ganzen Vormittag.

Übernachtungsplatz hoch oben über Porocan

Schließlich geht’s die letzten Kilometer runter. Und wir treffen es mit unglaublicher Genauigkeit: Just als wir in Porocan ankommen, ist Schulschluss. An der Schule, der wir einst jede Menge Schulmöbel gebracht haben. Und wie es der Zufall (???) will, ist auch gerade der Bürgermeister dabei, mit dem wir ständig zu tun hatten.

Wieder leistet das Fotobuch mit den Bildern von 2012 allerbeste Dienste. Die Schüler scharen sich um uns, und viele juchzen, als sie sich oder ihre Freunde auf diesen Fotos wiederentdecken.
Vor fünf Jahren hatten wir spontan einer Familie, deren Haus abgebrannt war, mit Möbeln und anderem Bedarf helfen können.

Zwei Mädchen vor 5 Jahren

Die Mädchen sind nun erwachsen

Ich frage, ob jemand die Kinder auf den Bildern kennt (Doppelbild oben). Klar, die auf dem Bild rechts steht tatsächlich gerade direkt neben mir. Hier im Bild oben steht sie in der Mitte. Und ist jetzt eine junge Dame. Wow! Wie geht’s der Familie? Was macht die Großmutter? (Doppelbild oben)  Alles bestens, und ein neues Haus haben sie auch. Was für ein Zusammentreffen! Wir sind bewegt.

Es ist schier unglaublich, mit welcher Offenheit und Fröhlichkeit uns „alten Knochen“ diese jungen Menschen begegnen.

Schulklasse in Porocan

 

Holtas

Aber jetzt weiter nach Holtas; Normalerweise geht’s jetzt direkt durchs Flussbett. Aber das Wasser ist in Ortsnähe noch ziemlich „mitreißend“, und wir lassen uns einen recht engen Hohlweg für das erste Stück weisen. Es ist doch manchmal von Vorteil, dass unser Felix von recht schlanker Figur ist.

Den größten Teil geht’s dann aber doch durch Geröll und Wasser. Dann den Berg hinauf über wilde Serpentinen. Jedes Jahr hat der Winter dort etwas verändert – Bergrutsche, Steinlawinen usw. So verpassen wir den Einsprung nach Holtas (ich erinnere: Wegweiser gibt’s nicht) und landen erst einmal hoch droben in einem großen Holzeinschlaggebiet. Die Piste ist nur noch aufgewühlter Dreck vom Holzrücken. Wir sind mitten drin im größten Problem der Region: Der extensive Holzeinschlag macht ringsum die Berge kaputt. Überall sieht man abgerutschte Flanken. Ganze Siedlungen sind bedroht. Und die Bauern können sich nicht wehren. Albanien braucht Geld, denn es will in die EU.

Holtas besteht aus weit verstreuten Häusern, und so mancher Weg ist halsbrecherisch. Wir suchen den Weg, der zur Schule führt, zu dem Zentrum unserer Schandtaten. Erst erwischen wir den falschen Weg und landen zu Fuß auf einem kleinen Hof. Sofort sind wir umringt von der Familie, und wieder bewährt sich unser Fotobuch.

In Holtas staunen die Einwohner über unser Fotobuch ihrer eigenen Ortschaft

Mit viel Geschnatter und Gelächter werden die Bilder mit dem Personen kommentiert. Aber auch Nachdenkliches: Eine Frau, an die ich mich besonders intensiv erinnere, hatte vor fünf Jahren schon Probleme mit einem Bein. Man musste es amputieren. Und sie geht nach wie vor auf den Feldern arbeiten – in einer Region, wo man sich schon mit zwei Beinen nur schwer bewegen kann. Das sagt viel über die wirtschaftliche Situation dort.

Frau mit amputiertem Bein

Natürlich müssen wir reinkommen, uns setzen und uns Kaffee kredenzen lassen. Na ja, und den unvermeidlichen „Selbstgebrannten“. Rundum fröhliches Hallo.

Bei einer Familie in Holtas

Aber wir wollen ja zur Schule. Mühsam verabschieden wir uns – der Sohn begleitet uns zu Fuß zur Schule. Die Fahrpiste ist für Autos noch nicht wieder passierbar. Per Handy hat der Sohn unser Kommen dem Lehrkörper angekündigt. Und tatsächlich werden wir in der Schule begrüßt – obwohl Ferien sind.

In der Schule von Holtas

Besuch aus Deutschland: Das ist schon was! Ich zeige Julie noch, wo wir einst wie gehaust und gewirkt haben.

Vor der Schule in Holtas

Die Schule in Holtas

Und dann geht’s schon wieder zurück.

Wieder drei Stunden zurück durch den Fluss, über Stock und Stein, hinauf auf die Berge und wieder hinab – und noch mal. Einmal ist Julie etwas schludrig gefahren. Das hätte ins Auge gehen können. Siehe "hier".

Der Track nach Holtas

Es war eigentlich nichts Außergewöhnliches, und doch spüren wir beide, dass wir an etwas Besonderem teilhaben durften.

Und darum wissen wir genau: Wir kommen wieder.